Daisy – Wohin mit ihr?

Niedlich, klein und schwarz war sie, als sie vor der Eingangstür unseres Wohnhauses lag. Nun ja, schwarz ist sie immer noch, nur hat sie sich mittlerweile zu einem ausgewachsenen Monster entwickelt, was ihre Größe anbetrifft. Und auf ihren Dackelblick fällt man ob ihrer Ausmaße auch nur noch bedingt herein. Obwohl ich zugeben muß, daß sie ihn in der Tat gut drauf hat.

Nun, so fing es an: irgendein “netter” Zeitgenosse hatte unser (damals noch) Hündchen in einer ziemlich unbewohnten Gegend ausgesetzt, wo es außer Steinen und leeren Zementsäcken nichts gab. Außerdem hatte sie eine schlimme Wunde an einem Hinterlauf. Einer unserer Nachbarn fand sie dort halb verhungert und dachte, wenn er sie mit in unsere Gegend nimmt, dann würde sich bestimmt ein Hundeliebhaber finden, der sich ihrer annähme. Ein paar Kinder erbarmten sich ihrer, machten ihr ein “Karton”- Bett, gaben ihr etwas zu essen, kauften ihr ein Halsband und gaben ihr den Namen “Daisy”. Selbstverständlich hatten diese Kinder allesamt bereits bissige Hunde, streitsüchtige Katzen oder uneinsichtige Eltern, und genauso selbstverständlich mußten sie Daisy direkt vor unser Portal legen.

Zwei, vielleicht drei Tage ging es gut mit “guck nicht hin!” und “faß’ ihn nicht an!”. Dann war es aus mit unserer Widerstandskraft, unsere Kinder und ich konnten einfach nicht anders als sie streicheln. Sie tat uns doch ziemlich leid, ein kleines Wesen ohne Heim, ohne Liebe, ohne Bett. Und dann kam die fatale Nacht, es regnete in Strömen. Und unser Hündchen hockte draußen im Freien ohne Unterstand. Gut geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht. Nach viel Hin und Her war es dann am nächsten Tag soweit, wir kauften Hundefutter, einen Napf und eine Leine und nahmen sie mit nach oben. Unsere Katzen, die Hunde nicht leiden können, waren darüber natürlich nicht sehr erbaut und begrüßten das Tier, was kaum größer war als sie selbst, mit Fauchen und dickem Schwanz. Daisy bedankte sich auf ihre kindliche Art und hinterließ prompt ein nicht gerade klein zu nennendes Pfützchen.

So nahm alles seinen Lauf, Daisy wurde zusehends größer (ihre Pfützen auch). Immer klarer wurde, daß sie für alles, was auch nur entfernt eßbar anmutete, eine enorme Schwäche hatte. Sie verschmähte weder meine gut gehüteten Pflanzen, noch unseren Lesestoff (sogar die Psalmen meiner Bibel sagten ihr zu), noch machte ihre Freßlust vor dem Wandputz halt. Meine Pflanzen wurden im unteren Bereich immer mehr ausgedünnt und der Wandputz sah aus wie ein Schweizer Käse. Spätesten jetzt versteht wahrscheinlich auch der unerfahrenste Hundebesitzer, daß Daisy für eine Wohnung nicht im geringsten geeignet war. Ihre Größe, mittlerweile hat sie eine ungefähre Schulterhöhe von 60 cm, und auch ihr Temperament und ihre Ausdauer, machten deutlich, daß sie ein Hund war, der größtmöglichen Auslauf und ständige Beschäftigung brauchte.

Also sahen wir uns nach einer akzeptablen Möglichkeit einer Umquartierung um. Ich glaube, es gibt im näheren Umkreis fast niemand mehr, den ich nicht fragte: “Sag mal, könnt Ihr nicht einen Hund aufnehmen?”. Alle sagten sie, Daisy sei wirklich ein hübsches Tier, aber haben wollte sie keiner. In meiner Verzweiflung wandte ich mich sogar an kompetente Leute wie Tierärzte. Ich bin wirklich der letzte, der einen Hund aus Überdruß aus dem Haus wirft. Interessanterweise wurde mir jedoch genau das von einem der weniger netten Tierärzte Torre del Mars vorgeworfen. Nicht etwa, daß er mich fragte, wie ich denn zu dem Tier gekommen sei. Nein, für ihn schien ziemlich klar, daß ich einer jener herzlosen Hundekäufer war, die sich nach dem Weihnachtsfest ohne Bedenken eines Hundes durch Aussetzen entledigen. Ich muß sagen, das tat doch ganz schön weh.

Eine weiter tragikomische Begegnung hatten wir kurz darauf. Ich bekam die Telefonnummer einer älteren Dame, die aufs Land ziehen und gern einen Wachhund haben wollte. Prima, dachte ich, dafür wäre Daisy wirklich gut geeignet gewesen, auch wegen ihrer Größe. Nun, ein Termin zur Inaugenscheinnahme war schnell ausgemacht. Ich ging in guter Hoffnung zu dem Treffen. Dort wurden wir mit einem “Ist das der Hund?” begrüßt. Nachdem ich bejaht hatte, kam als Erwiderung: “Er erschreckt mich aber nicht besonders!”. Normalerweise habe ich in solchen Fällen immer ein passendes Wort auf der Zunge, aber diesmal fiel mir partout nichts mehr ein. Alle hatten Daisy ja wegen ihrer Größe nicht gewollt und jetzt dies. Was wollte mein Gegenüber denn, ein Rhinozeros?

So blieb Daisy weitere Monate bei uns, und wir gewöhnten uns mehr oder minder an sie und ihre ungestüme Art. Unzufrieden und unausgelastet schlich sie von einem zum andern oder fegte wie von der Tarantel gestochen durchs Wohnzimmer. Eine Freundin kam dann auf die Idee, in Deutschland nach einem neuen Herrchen zu suchen und in uns erglomm erneut die Hoffnung, ein gutes Heim mit Garten für sie zu finden. Aber die Odyssee sollte noch ein paar Monate andauern.

So kramte ich verzweifelt alle Adressen von Leuten raus, die mir eventuell helfen konnten. Auf diese Art und Weise und mit viel Geduld fanden wir dann sehr nette Leute in Deutschland, die sich bereit erklärten, Daisy zur weiteren Vermittlung aufzunehmen. Aber auch das ging natürlich nicht ohne Probleme vonstatten, denn das Tier mußte ja erst mal nach Deutschland transportiert werden. Tja, dachte ich, das ist ja kein Problem. Bekannte hatten sich angemeldet, und sie würden Daisy bei ihrem Rückflug sicherlich im Flugzeug mitnehmen. Weit gefehlt, sie sagte zwar sofort ja, aber er wollte nichts davon wissen. Da man mich immer gelehrt hatte, die Meinung anderer Leute zu respektieren und zu achten, ist das Überzeugen nicht meine stärkste Tugend. Und so verstrich diese wunderbare Gelegenheit ungenutzt. Aber, so dachte ich, macht ja nichts, im Juni kommen ja gute Freunde aus Deutschland zu Besuch. Die nehmen sie bestimmt mit. Aber auch in dieser Einschätzung sollte ich mich gewaltig irren. Sie sagte sofort ja. (Komisch, immer die Frauen!) Es sollte ja nur der Transport sein, am Flughafen würde Daisy ja abgeholt werden. Aber ihr Mann antwortete lediglich, er sei ohne Hund gekommen, er würde auch ohne Hund wieder abreisen. Dieses Mal waren meine Überzeugungsversuche nicht mehr ganz so zaghaft. Ich war maßlos enttäuscht.

So vergingen weitere zwei Monate, ohne daß meine Bemühungen auch nur die geringsten Früchte trugen. Ich hatte langsam das Gefühl, man ging mir aus dem Weg, weil ich immer alle Leute nervte mit meinem Hund. Ich versuchte es mit Luftfracht. Zu meinem Bestürzen mußte ich feststellen, daß die entsprechenden Firmen unglaubliche Preisvorstellungen hatten. Ich hätte billiger nach Deutschland und zurück fliegen können, als der Hund allein nur eine Strecke. Das überforderte unseren finanziellen Haushalt bei weitem. Mittlerweile war es August und ich wußte nicht mehr weiter. Ein paar Freunde, die auf Urlaub in Benajarafe waren (haben schon einen Riesenhund, keine Chance) sahen meine Not und nahmen Daisy wenigstens für zwei Wochen zu sich in ihr Haus. Dort hatte sie freien Auslauf. Ich glaube, diese Wochen waren für sie die schönsten ihres bisherigen Lebens. Als sie zurückkam, war sie ausgeglichen und ruhig. All das bestärkte mich noch mehr darin, daß es einfach nicht möglich war, sie in der Wohnung zu halten.

Dann hatten sich Freunde von anderen fernen Bekannten angemeldet, Leute, die ich bis dahin noch nie gesehen hatte. Auch sie waren in Benajarafe untergebracht. Als sich ihr Urlaub dem Ende zuneigte, stellte sich aufgrund einer Bemerkung heraus, daß sie am nächsten Wochenende nach Frankfurt fliegen würden. Ich traute meinen Ohren nicht. Noch weniger traute ich diesen, als sich eben jene neuen Freunde, wir verstanden uns sehr gut, von sich aus anboten, unseren Hund mitzunehmen. Sie hatten gehört, daß wir dringend eine Mitfluggelegenheit suchten. Ich hätte sie von oben bis unten küssen können. Ein Anruf bei der Fluggesellschaft und der Hund war angemeldet. Eine bittere Pille gab es doch, man verlangte 1.500 Pts. pro Kilo, und da unser Hund ja nicht der kleinste war, kann sich jeder ausrechnen, was da noch auf uns zukommen sollte. Am nächsten Tag würde ich sehen, ob man mit der Menschlichkeit von Iberia rechnen kann oder nicht.

Tja, dann war es soweit. Ich redete mir ein, es ist doch besser für den Hund. Aber eine Stimme in mir sagte etwas anderes. Man gewöhnt sich halt doch an die Tiere und ist traurig, wenn sie gehen. Ich hoffte, wir alle würden das gut überstehen. Aber alles klappte, fast möchte ich sagen, wider Erwarten. Die Betäubungspille nützte zwar überhaupt nichts, Daisy hopste mopsfidel in Frankfurt aus ihrer Kiste, aber ansonsten ging alles glatt. Man holte sie wie abgesprochen ab und schon war sie auf dem Weg in ihr neues provisorisches Heim. Eine Woche später bekam ich einen Anruf aus Trier. Ich traute meinen Ohren nicht, es war Daisys neues Frauchen. Daisy hatte ihr sehr gefallen, sie sollte in Zukunft auf ihr Haus und ihren Garten aufpassen.

Besonderen Dank möchte ich Frau Brigitte Hild/Deutschland aussprechen, die sich, wie bereits erwähnt, bereit erklärte, unser Sorgenkind Daisy aufzunehmen, bzw. ein neues Heim für sie zu suchen, was ihr nicht wenig Arbeit und Mühe bereitet.

Nochmals, vielen Dank!

Judith Maga