Berlin

Es gab da einmal eine kleine Insel inmitten eines unbekannten, bedrohlich anmutenden real-sozialistischen Landes. Diese Insel hieß Berlin, war sehr lebhaft, bunt und multi-kulti, wollte ständig groß hinaus, wurde aber immer wieder in seine betonierten Grenzen gewiesen. Auf dieser kleinen Insel, die nur über den Luft- oder Transitweg erreichbar war, wohnten meine Familie und ich für eine paar wegweisende Jahre. Wir waren jung und kannten das alte Berlin nicht, lernten dafür diese Insel lieben. Der Transitverkehr gehörte dazu, mit Plaste und Elaste aus Schkopau und dem Ziellauf über die Betonpisten, um als erster am Kontrollposten anzukommen – batam – batam – batam…

Ein Jahr nachdem wir Berlin wieder verlassen hatten, fiel die Mauer. Wir beobachteten alles voller Spannung aus der Ferne, nur die Trabbi-Lawine erreichte auch unser kleines Städtchen im Hessenland.

Zunächst war ein Besuch in Berlin besonders aufregend, vorbei an den verödeten Grenzposten in eine Stadt, vollgestopft mit Menschen. Doch es wurde zu voll, Berlin wollte wieder groß hinaus, endlich grenzenlos, wieder Hauptstadt. Das Ergebnis? Der größte Buddelplatz der Welt, Baustelle an Baustelle, absolut kein schöner Anblick. Inzwischen waren wir in Südspanien gelandet und verloren das Interesse an dieser Bauorgie, Baustellen gibt es hier an der Costa del Sol genug, dafür muss man nicht nach Berlin. Doch so langsam tauchten im Fernsehen immer mehr Bilder aus einem neuen, glänzenden Berlin auf. Sollten ‘die da’ langsam fertig werden? Ist Berlin überhaupt noch wiederzuerkennen? Es bot sich eine günstige Gelegenheit und ein Kurztrip nach Berlin stand plötzlich auf dem Programm.

Nach nunmehr acht Jahren wieder in Berlin. Als erstes ein Blick auf die noch bekannten Ecken, besonders das ehemalige Zentrum am Kurfürstendamm. Hier war doch alles irgendwie wieder wie früher, selbst die kleine Döner-Bude war noch da. Man hatte viel gehört, alle Geschäfte hätten zu gemacht, keiner gehe mehr auf den Ku-Damm. Doch mir schien es wie gewohnt. Aber der Schein kann durchaus trügen.

Auch so banale Dinge wie U-Bahn fahren waren wieder wie damals, kein unangenehmer Tumult mehr, sondern wieder ein aufregendes Menschengemisch durchsetzt von vielen schrägen Vögeln. In den nächsten Tagen ging es weiter, jetzt in das neue Zentrum, oder sollte ich besser von den neuen Zentren Berlins reden? Unter den Linden, Alexanderplatz, Potsdamer Platz und so weiter. Danach auch geschichtsträchtige Viertel wie der Prenzlauer Berg.

Doch eines fällt bald auf, ein Teil der Geschichte wurde sehr gründlich ausradiert und in Museen gesperrt, die Mauer, die jahrzehnte lang das Stadtbild prägte. Es wäre mir vielleicht gar nicht so aufgefallen, wenn nicht mein Sohn dabei gewesen wäre, geboren in Berlin, ein Jahr vor dem Mauerfall. Wie war das damals? Wo stand denn die Mauer? Ja, irgendwo da drüben, oder war es dort? Ab und zu findet sich noch ein kleines Stück, mit neuen Graphities versehen und der bezeichnenden Inschrift: Don’t destroy history!

Eines ist jedenfalls klar, es ist wieder beeindruckend geworden, das gute alte Berlin. Majestätische Pracht alter kaiserlicher Fassaden, daneben Glanz und Glitzer modernster Architektur. Mir wurde auch schnell bewusst, die paar Tage geben nur einen groben Eindruck. Mir ist dieser grobe, erste Eindruck einer Stadt oder einer Region aber immer wichtig gewesen. Er entschied oft und meines Erachtens zu Recht, ob ein weiterer Besuch angesagt ist, oder sich sogar eine heimliche Liebe zu jenem Ort entwickelt. In diesem Fall entflammte wieder die alte Verbundenheit mit dieser Stadt, eine Art Heimatgefühl, das im Chaos der wiedergewonnenen Größe verloren gegangen war. Berlin ist allemal wieder eine Reise Wert.

Die Stadt hat wieder Atmosphäre, Flair einer echten Großstadt. Ein Effekt, ähnlich wie in Paris, vielleicht noch nicht so intensiv, aber es reicht schon, um sich einfach mal ein paar Tage von diesem Flair umwabern zu lassen. Doch wenn alle Kulturschätze und Museen besucht werden wollen, sollte mehr Zeit zur Verfügung stehen, zuviel gibt es zu sehen.

Für mich heißt es jedenfalls wieder: Berlin, je revièn.

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